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Muldenspiegel Nr. 6 (7.Jahrgang)
24. März 1997

Alle jahre wieder, Gedanken zur Nonnenflucht in der Osternacht 1523

Luthers "Herr Käthe" - eine Powerfrau

Wenn man die damalige Wendezeit in Rechnung stellt und kritisch überdenkt, dürfte es für die neun beherzten Nonnen des Zisterzienserinnenklosters Marienthron in der Grimmaer Muldenaue kaum schwieriger gewesen sein, aus ihrer Klausur herauszukommen, als in der ihnen nahezu unbekannten Freiheit außerhalb der Klostermauern Fuß zu fassen und eine bürgerliche Existenz zu finden. Inwieweit sie sich selbst dieses Risikos bewußt waren, sei dahingestellt. Luther, der ihre Flucht mit Hilfe seines „seligen Räubers" Leonhard Koppe maßgeblich unterstützte, kannte es jedenfalls.
Am 8. April 1523 schrieb Luther an seinen aus Colditz stammenden Mitstreiter Wenceslaus Linck: „Ich habe gestern neun Nonnen bei mir aufgenommen, die ihrer Gefangenschaft entlaufen sind." Am 10. April bittet er den befreundeten kurfürstlichen Sekretär G. Spalatin um materielle Hilfe für das „beklagenswerte Häuflein" der Entlaufenen.
Deren Resozialisierung erfolgte  unterschiedlich. Sechs von ihnen hatten Angehörige im reformationsfreundlichen Kursachsen: Magdalena von Staupitz heiratete in Grimma und leitete hier die erste Mädchenschule. Elsa von Canitz kam bei begüterten Verwandten auf Thallwitz und zu Eicha unter und war später Lehrerin in Wittenberg. Veronika und Margarete von Zeschau fanden wohl Aufnahme auf dem väterlichen Gut Obernitzschka. Ave Gosse hatte adlige Verwandte in Trebsen und heiratete später nach Schweinitz. Lonata von Golis wurde Pfarrfrau in Colditz, danach in Leisnig. - Die drei Nonnen aus dem Machtbereich des reformationsfremdlichen Herzogs Ernst hatten es ungleich schwerer: Ave und Margarete von Schönfeld konnten deshalb nicht zu ihren Eltern und Geschwistern zurückkehren; sie genossen bis zu ihrer Heirat die Gastfreundschaft Lucas Cranachs in Wittenberg. Katharina von Bora hatte von ihrer Stiefmutter und verarmten Brüdern in Zühlsdorf keinerlei Unterstützung zu erwarten. In Wittenberg fand sie an die zwei Jahre Unterkommen im Hause des Stadtschreibers Reichenbach. Am 13. Juni 1525 schloß sie die Ehe mit Dr. Martin Luther.
Es ist weniger bekannt, daß Luthers, trotz längst grassierender Gerüchte höchst überraschende  Heirat keinesfalls ungeteilten Beifall fand. Seine Feinde diffamierten ihn und besonders die „schamlose" entsprungene Nonne" mit Schmähungen und niederträchtigen   Unterstellungen. Die Anhänger des Reformators missbilligten hauptsächlich den Zeitpunkt seines spontanen Entschlusses: Der Bauernkrieg und seine von Luther gebilligte brutale Unterdrückung   durch die Fürsten verbreiteten im ganzen Land Angst, Schrecken und Empörung. Selbst Freund Melanchthon entsetzte sich: „In dieser unseligen Zeit, da Deutschland seine Kraft so nötig hat, schädigt er sein Ansehen durch diese unglückliche Tat." Luther war nicht der Mann, der sich von einem einmal eingeschlagenen Weg abbringen ließ, und  Katharina stand ihm, wie sich's zeigte, darin absolut nicht nach. Zunächst hatte Luther eher an eine Ehe mit Ave von Schönfeld gedacht und Katharina zweimal mit anderen Männern verheiraten wollen. „Meine Käthe", gestand er später, „hatte ich dazumal nicht lieb, denn ich hielt sie für verdächtig, als wäre sie stolz und hoffärtig." Daß er sich schließlich . „ihrer erbarmte", gereichte dem bedeutenden, aber auch schwierigen Manne selbst ausgesprochen zum Segen.
Die sechsundzwanzig - jährige Katharina, die den größten Teil ihres bisherigen Lebens in der abgeschiedenen Klausur verbracht hatte, entwickelte sich zu einer ungewöhnlich tüchtigen Hausfrau und Wirtschafterin. Sie besaß, was Luther abging: Gespür und Geschick für die Ordnung der profanen Dinge des Lebens, Sparsamkeit und Erwerbssinn. Sie gebar sechs Kinder, zwei starben frühzeitig.
Den Zeitbedingungen entsprechend war der lutherische Haushalt ein umfängliches arbeitsintensives   Selbstversorgungsunternehmen. Die couragierte „helle Sächsin" hatte das Ganze fest im Griff - und gewiß auch ihren fürsorglich geliebten berühmten Gatten, der sie scherzhaft - aber nicht unbegründet! - seine „Domina", seinen liebsten und gestrengen „Herrn Käthe" nannte.
„Das bei seiner Heirat als skandalös belästerte Paar, Mönch Martinas und die entlaufene Klosterfrau Katharina, widerlegten ihr Leben lang die bösen Prophezeiungen, die man ihrem Ehe- und Familienstand nachgeworfen hatte. " (Hausbuch, Gondrom Verlag 1996) -dt-